Praxis: Prof. Dr. med. Uwe Schütz

Borreliose, Lyme-Arthritis

Die vorliegenden Therapieempfehlungen beziehen sich auf eine gesicherte Infektion mit Borrelia burgdorferi und ihre spezifischen Krankheitsfolgen.

Definition. Die Lyme-Borreliose ist eine endemische Infektionskrankheit, die durch Borrelia burgdorferi sensu lato ausgelöst wird. Dieser Erreger wird durch Zecken übertragen.

Infektionsrisiko: Das Infektionsrisiko nach einem Zeckenstich mit Borrelia burgdorferi beträgt in Deutschland durchschnittlich 1 bis 3% (Tendenz in den letzten Jahren zunehmend). Bei 60 bis 90% der Betroffenen findet sich initial ein Erythema migrans (Wanderröte), welches in 40% der Fälle ohne antibiotische Therapie und ohne weitere Organmanifestationen ausheilt. Demnach käme es bei 60% zu einer Erregerdissemination mit weiteren Manifestationen, falls keine antibiotische Therapie durchgeführt wird. Da die antibiotische Therapie des Erythema migrans das Fortschreiten der Infektion verhindert, erkranken wenige Patienten an Neuroborreliose und Lyme-Arthritis (Gelenkentzündung), meist ohne erinnerliches Erythema migrans.

Symptomatik. Grundsätzlich werden Manifestationen der frühen und der späten Phase einer Infektion unterschieden.
In der frühen Phase sind die Symptome vieldeutig: Malaise, Kopfschmerzen, subfebrile Temperaturen, Lymphknotenschwellungen, Arthralgien (Gelenkbeschwerden), Myalgien (Muskelbeschwerden).

In den späten Phasen der Infektion sind die Symptome oft spezifischer (typischer), u.a.:

  • Akrodermatitis atrophicans der Haut,
  • Meningitis (Hirnhautenzündung), Myelitis (Rückenmarksentzündung), Enzephalitis (Hirnentzündung), periphere Neuropathie (Nervenbeschwerden an Armen, Beinen oder Rumpf)
  • Entzündung der Augen
  • dilatative Kardiomyopathie am Herzen (Herzmuskelerkrnkaung)
  • Vaskulitis (Gefäßentzündung)

Meist befällt die Lyme-Borreliose aber schwerpunktmäßig ein Organsystem; das parallele Auftreten mehrerer der oben genannten Symptome ist selten.

Erythema (chronicum) migrans (Wanderröte). Das Erythema migrans ist die mit Abstand häufigste klinische Manifestation der Lyme-Borreliose. Es zeigt sich am Ort des Zeckenstiches mit einer mittleren Latenz von 7 bis 14 Tagen nach dem Stich als rötlich-livides, nur selten juckendes, schmerzloses Erythem (Hautrötung). Durch zentrale Abblassung kann nach einigen Tagen bis wenigen Wochen die charakteristische Ringform mit zentraler Einstichstelle entstehen. Das Erythem kann unterschiedlich lange bestehen und eine erhebliche Größe erreichen, bildet sich aber auch ohne Therapie immer wieder zurück. Selten treten mehrere Erytheme parallel auf (als Ausdruck der frühen Erregersteuung).

Lyme-Arthritis (-Gelenkentzündung). Rheumatologische Symptome können relativ früh im Krankheitsverlauf auftreten. Innerhalb weniger Wochen nach Infektion überwiegen Arthralgien und Myalgien. Das typische Korrelat der Lyme-Arthritis manifestiert sich in der späten Krankheitsphase, also mehrere Wochen bis Monate (bis 2 Jahre?) nach Erregerübertragung, i.d.R. als Mon- oder Oligoarthritis (1 oder 1-3 Gelenke entzündet). In 85% der Fälle ist mindestens ein Kniegelenk betroffen. Sprung- und Ellbogengelenke können seltener involviert sein, ein Befall der Fingergelenke, besonders in Form einer Polyarthritis, wird praktisch nicht beobachtet (Ausschlusskriterium). Die Lyme-Arthritis verläuft meist episodisch, d.h. mit wiederkehrenden Entzündungsschüben, die von symptomarmen oder -freien Intervallen unterbrochen werden. Erosive Veränderungen wurden nicht beobachtet. In der Synoviaanalyse (Gelenkflüssigkeit) zeigt sich bei akuter Arthritis eine deutlich erhöhte Zellzahl mit bis zu 50.000/μl, Neutrophile Granulozyten überwiegen. Im weiteren Verlauf stehen mononukleäre Zellen im Vordergrund. Histologische Befunde der Synovialmembran (Synovialis) lassen eine Differenzierung von anderen Arthritiden nicht zu. Weiter kommen Bursitiden und Tenosynovialitiden vor, jedoch nicht ein Befall des Achsenskeletts (Wirbelsäule), z.B. in Form einer Sakroiliitis.

Diagnosefindung. Das Erythema migrans ist meist pathognomonisch und bedarf keiner weiteren Diagnostik. Eine spezifische Diagnostik auf das Vorliegen einer Lyme-Borreliose sollte nur bei ausreichendem klinischem Verdacht, das heißt bei einer typischen Symptomatik erfolgen. Eine solche Situation ist bei Vorliegen einer anders nicht einzuordnenden Arthritis in Form einer Mon- oder Oligoarthritis, ganz überwiegend mit Befall eines oder beider Kniegelenke gegeben. Nicht sinnvoll ist die Durchführung der Borreliendiagnostik bei einer Polyarthritis mit Beteiligung der kleinen Gelenke oder bei länger bestehenden muskuloskelettalen Beschwerden ohne objektivierte Arthritis.
Die serologische Diagnostik (Blutuntersuchung) folgt dem Prinzip der Stufendiagnostik (Schritt für Schritt). Ein serologischer Suchtest in Form eines ELISA stellt die erste Stufe dar, bei positivem Ergebnis wird eine stattgehabte, ausgeheilte oder floride Infektion durch einen spezifischen Immunoblot bestätigt. Betont werden soll, dass eine positive serologische Untersuchung ohne typische Klinik keine behandlungsbedürftige Erkrankung anzeigt. Auch kann mit hoher Sicherheit davon ausgegangen werden, dass bei unauffälligem Befund in der Antikörperdiagnostik eine Spätform einer klinisch relevanten Lyme-Borreliose nicht vorliegt. Ebenso kann keinesfalls ein isolierter IgM-Antikörper-Nachweis langjährige Beschwerden (z. B. eine Lyme-Arthritis) erklären.

Therapie. Eine antibiotische Behandlung der Lyme-Borreliose sollte möglichst rasch nach Diagnosestellung eingeleitet werden. So kann der Erkrankungsverlauf abgekürzt werden und zudem die Entwicklung weiterer Manifestationen verhindert werden. Die Therapie erfolgt stadien- und symptomorientiert: Doxycyclin, Amoxicillin und Ceftriaxon sind die Mittel der Wahl. Resistenzentwicklungen gegen diese Antibiotika wurden bisher nicht belegt.

Ersttherapie des Erythema migrans. Grundsätzlich ist das Erythema migrans mit einer oralen antibiotischen Therapie ausreichend behandelbar. Von allen europäischen Fachgesellschaften empfohlen: Doxycyclin 200 mg/d für 10 - 21 d, oder Amoxicillin 3 x 500-1000 mg 1000 mg/d für 10 - 21 d, oder Cefuroxim, 2 x 500 mgd über 10 - 21 d, oder Azithromax 500 mg/d über 5 - 10 d (Kinder < 9 J. Amoxicillin 3 x 50 mg/kg/d bis max. 3x500 mg/d, ab 9 J. Doxycyclin 4 mg/kg/d bis max. 200 mg/d.

Therapie der Lyme-Arthritis. Auch bei der Behandlung der Lyme-Arthritis ist eine orale Therapie meist ausreichend. Die Erfolgsquote der Ersttherapie liegt bei über 80%: Doxycyclin, 1 x 200 oder 2 x 100 mg/d über 30 d, oder Amoxicillin, 3 x 500 bis 1000 mg/d über 30 d. Die pädiatrischen Dosierungen sind analog denen bei Erythema migrans empfohlen. Zusätzlich können antiphlogistische Maßnahmen (in erster Linie NSAR) eingesetzt werden. Vor dem Abschluss der ersten Antibiotika-Therapie wird von einer zusätzlichen intraartikulären Glukokortikoid-Therapie abgeraten. Besteht auch mehrere Wochen nach Therapie keine Beschwerdefreiheit, wird ein Therapieversuch mit einem parenteralen Antibiotikum empfohlen: Ceftriaxon 1 x 2g/d als Infusion über 14 bis 21 d, oder Cefotaxim 3 x/d i.v.. Die pädiatrische Dosierung ist Ceftriaxon 3 x 50 mg/kg mit einer Maximaldosis von 2 g/d. über 14 - 21 d.
Weitere Therapiezyklen, Langzeittherapien über Monate, Pulstherapien, Einsatz alternativer Antibiotika, Kombinationstherapien mit mehreren Antibiotika oder Kombinationen mit Hydroxychloroquin haben sich als ineffektiv erwiesen oder wurden nicht in kontrollierten wissenschaftlichen Studien untersucht. Daher sollten diese Therapieformen nicht eingesetzt werden.
Ältere in den USA durchgeführte Studien zeigten, dass die Lyme-Arthritis auch langfristigem Verlauf noch in etwa 10% pro Jahr spontan ausheilt; in Einzelfällen war auch eine viele Jahre nach Erkrankungsbeginn durchgeführte orale Antibiotika-Therapie bei Patienten, die zuvor keine antibiotische Therapie erhalten hatten, wirksam. Bei persistierenden Arthritiden sollte zunächst die Diagnose überprüft werden. Eine therapierefraktäre Lyme-Arthritis ist selten. In diesem Fall empfiehlt sich eine symptomorientierte Behandlung.
Die Prognose der Lyme-Arthritis ist gut.

Prophylaxe (Vorbeugung). Die Vermeidung von Zeckenstichen ist die einzige Möglichkeit, eine Lyme-Borreliose sicher zu verhindern. Es empfiehlt sich, helle, geschlossene Kleidung zu tragen, nach dem Aufenthalt im Freien nach Zecken auf der Haut zu suchen, ev. auch ein Repellent wie DEET [N,N-diethyl-3-m-toluamid] anzuwenden, das auf Kleidung oder Haut aufgebracht Zecken vertreibt.
Nach Zeckenstich ist es wichtig, die Zecke so schnell wie möglich zu entfernen. Hierzu wird die Zecke mit einer stabilen, spitzen Pinzette (Zeckenzange) möglichst flach über der Haut gefasst und langsam, ggf. mit Hin-und-Her-Drehen, herausgezogen. Nach Entfernung der Zecke sollte die Wunde desinfiziert werden; ein kleiner Rest in der Wunde entspricht meist dem Stechapparat und kann ohne Steigerung des Infektionsrisikos entfernt oder belassen werden.
Eine Antibiotikaprophylaxe nach Zeckenstich wird nicht empfohlen.