Praxis: Prof. Dr. med. Uwe Schütz

Fibromyalgie-Syndrom (FMS) - Fibromyalgie

Definition. Chronische, generalisierte Schmerzen am ganzen Bewegungsapparat (alle 4 Körperquadranten), charakteristische Druckschmerzpunkte („tender points“) und Begleitsymptome ohne Nachweis einer assoziierten körperlichen oder seelischen Erkrankung.
Dem FMS liegt keine organische Krankheit („Fibromyalgie“ im Sinne einer distinkten rheumatischen Krankheit), sondern eine funktionelle Störung zu Grunde. Die Beschwerden sind ungefährlich im Sinne einer normalen Lebenserwartung. Die Betroffenen können durch eigene Aktivitäten die Beschwerden lindern.

Vorkommen (Epidemiologie). Etwa 0,5% der erwachsenen Bevölkerung (vorwiegend Frauen im mittleren Lebensalter). Familiäre Häufung..

Ursachen (Ätiologie). Bisher unklar. Es werden viele Ursachen des FMS diskutiert und beforscht, u.a.:
- genetische Prädisposition (serotoninerge Mechanismen, Bedeutung von Polymorphismen bestimmter Sotoninrezeptorgene)
- gestörte Stressverarbeitung (sympathisches NS, HHN-Achse): erhöhte Empfindlichkeit auf autonome, hormonelle und psychische Stressoren
- gestörte neurohormonale Regelkreise, neurohormonelle Übererregbarkeit
- erniedrigte Schmerzschwelle durch zentrale Sensitisierung, hemmende deszendierende Bahnen.
- veränderter Durchblutung zentraler Schmerzareale

Pathophysiologie. Signifikante Erhöhung von Substanz P im Liquor cerebrospinalis. Die Hyperaktivität von CRH-Neuronen (Corticotropin-Releasing-Hormon) erklärt vielfach beschriebene hormonelle Veränderungen und den hyperserotonergen Tonus des ZNS, und führt auch zu Ängstlichkeit und Depression. Dies liefert einen möglichen Hinweis auf das Auftreten entsprechender Symptome bei Patienten mit chronischen Schmerzen.

Symptomatik. Kernsymptome des FMS sind neben chronischen, generalisierten Schmerzen in mehreren Körperregionen, Schlafstörungen bzw. nicht-erholsamer Schlaf und Müdigkeit bzw. Erschöpfungsneigung (körperlich und/oder geistig). Das FMS kann mit depressiven Störungen assoziiert sein.
Häufig assoziierte autonome, psychopathologische und neuropsychiatrische Begleitsymptome:
- Kopfschmerzen/Migräne, Ein-/Durchschlafstörungen, Müdigkeit
- Reizdarm und Reizblase, Magenbeschwerden, Darmbeschwerden, Schmerzen beim Wasserlassen
- Restless Legs, Missempfindungen
- Schwindel, Herzjagen/-stolpern, vermehrtes Schwitzen
- anfallsweise Atemnot
- trockener Mund, kalte Hände oder Füße
- Zittern, Kloßgefühl im Hals
- temporomandibuläres myofasziales Syndrom, Morgensteife
Anhand klinischer Charakteristika können unterschiedlich schwere Verlaufsformen unterschieden werden. Eine allgemein anerkannte Schweregradeinteilung existiert jedoch nicht.
Von sekundärer Fibromyalgie wird gesprochen, wenn diese in Zusammenhang mit einer anderen rheumatischen Erkrankung wie typischerweise dem SLE auftritt.

Diagnostik. Die klinische Diagnose beruht auf der Anamnese eines typischen Symptomkomplexes, klinischer Untersuchung und dem Ausschluss körperlicher Erkrankungen, welche diesen Symptomkomplex ausreichend erklären können. Beweisende technische Untersuchungsbefunde gibt es nicht!
- Generalisierte Schmerzen über mind. 3-6 Monate +
- Nachweis von mind. 11 von 18 Tender Points (meist im Bereich von Enthesen oder Muskel-Sehnen-Übergängen lokalisiert)
Der Nachweis einer weiteren klinischen Erkrankung darf die Diagnose einer Fibromyalgie nicht ausschließen. Bei typischem Beschwerdekomplex und fehlendem klinischen Hinweis auf internistische, orthopädische oder neurologische Erkrankungen wird aber empfohlen, keine weitere technische Diagnostik (weiterführendes Labor, Neurophysiologie, Bildgebung) durchzuführen.

Therapie. Es wird empfohlen, bei der Auswahl von Therapiemaßnahmen die Präferenzen und Komorbiditäten der Patientin zu berücksichtigen.
- Allgemeine Konditionierung (Resilienzverbesserung): z.B. individuell angepasstes Ausdauer- und/oder Krafttraining, Stretching, Wärmetherapie. 2-3 mal/ Woche über mind. 30 Min mit geringer bis mittlerer Intensität:
- Ausdauertraining: z.B. schnelles Spazierengehen, Walking, Fahrradfahren bzw. Ergometertraining, Tanzen, Aquajogging
- Funktionstraining: Wassergymnastik, Trockengymnastik: Kombination aerobes Training, Flexibilität-, Koordinations- und Kräftigungsübungen
- Kognitive Verhaltenstherapie: erlernen kognitiv-verhaltenstherapeutischer Techniken
- bei schwerer Ausprägung des FMS multimodale Therapien und eine zeitlich befristete medikamentöse Therapie. Nutzen und Schaden von nicht-medikamentösen und medikamentösen Therapieoptionen sind abzuwägen:
- schmerzmodulierende trizyklische Antidepressiva (Amitriptylin in kleiner Dosierung), evtl. kombiniert mit SSRI: z.B. zeitlich befristet Amitriptylin 10-50 mg/d. Ggf. Versuch mit Tropisetron.
- Ausgleich der Energiestoffwechseldefizite der Muskulatur: Carnitin, MAD-Mangel (D-Ribose)